Fachkräftemangel im Kreis Gifhorn verschärft sich erst noch

Ein Bericht von Dirk Reitmeister, Aller-Zeitung

Geburtenstarke Jahrgänge gehen, geburtenschwache Jahrgänge kommen: Fachleute warnen vor Defizit ab 2025

 

Wenn in den kommenden Jahren die Babyboomer in den Ruhestand gehen, wird das den Fachkräftemangel im Kreis Gifhorn erheblich verschärfen. Die Agentur für Arbeit zählt im Kreis Gifhorn 10.507 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die bis 2036 diese Altersgrenze erreicht haben werden. Das sei jeder vierte im Kreisgebiet Beschäftigte. Und ab 2025 sei der Punkt erreicht, wo mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als junge Kräfte nachrücken.

„Allerdings ist dies nur eine theoretische Betrachtung“, sagt Carsten Sievers von der Agentur für Arbeit Helmstedt. Viele seien in den vergangenen Jahren früher in Ruhestand gegangen – trotz Abschlägen, wegen Sonderregelungen oder aus gesundheitlichen Gründen. „So dass eher von einer höheren Zahl an Altersabgängen ausgegangen werden muss.“

„Der Fachkräftemangel ist das größte Risiko für die regionale Wirtschaft“, mahnt Sönke Feldhusen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg. Offene Stellen blieben schon jetzt oft lange unbesetzt, doch mit dem Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge komme der Höhepunkt des Fachkräftemangels erst noch.

Mitarbeitende fehlten bereits jetzt vor allem in der Maschinen- und Fahrzeugtechnik, im Verkauf und im Bereich nichtmedizinische Gesundheits- und Körperpflege sowie Lebensmittelherstellung und -verarbeitung. „Darüber hinaus sind aber auch Fachkräfte in den Mechatronik-, Energie- und Elektroberufen, IT, Verkehr und Logistik sowie medizinischen Gesundheitsberufen zunehmend knapp.“ Corona habe das bereits verschärft, was sich in Gastronomie und Veranstaltungsbranche zeige.

Sievers sieht nicht nur den Fachkräftebereich betroffen. Das Problem betreffe den Arbeitsmarkt insgesamt, „und somit durchaus auch den Bereich der Anlerntätigkeiten“. Auch Sibille Rosinski sieht eigentlich alle Branchen betroffen. Sie ist Sprecherin der Allianz für die Region, das ist ein regionaler Zusammenschluss von Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften mit dem Ziel, die Region wirtschaftsstark und lebenswert zu machen.

Eine immer wichtigere Aufgabe ist dabei, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen zu bringen. Dazu bietet die Allianz eine Online-Jobbörse auf dem Portal die-region.de, erarbeitet Personal- und Standortmarketingkampagnen für Unternehmen, um bundesweit Bewerber anzulocken, und bietet Orientierungsmaßnahmen für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8 an. Dazu gehört unter anderem eine Berufsorientierungsmesse in Gifhorn im Frühjahr 2023 sowie Betriebspraxistage.

„Wir haben mit der Berufsberatung in den letzten Jahren unsere Präsenz in den Schulen weiter ausgebaut und sind jetzt noch früher in den Klassen“, so Sievers von der Agentur für Arbeit. Diese fördere darüber hinaus verschiedene Angebote zur vertieften Berufsorientierung und organisiere Messen wie die Ausbildungsplatzbörse Gifhorn.

Feldhusen sieht ein Umdenken. „Während sich früher die Mitarbeiter bei den Unternehmen bewerben mussten, ist heute das Gegenteil der Fall“, sagt der IHK-Mann. Bewerber gewinne man nur mit Work-Life-Balance, flexiblen Arbeitszeiten, Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten und modernen Arbeitszeitmodellen, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie digitalen Modellen.

Feldhusen ruft die Unternehmen dazu auf, ihren Fachkräftenachwuchs selbst auszubilden – und die Ansprüche zurückzuschrauben. „Allerdings sind auch Auszubildende heute schwerer zu finden. Deshalb geht es im Wettbewerb um Auszubildende nicht mehr darum, sich um die Notenbesten zu rangeln.“